Marktpsychologie und Charttechnik am Gasspotmarkt

August 18, 2025

Am physischen Spotmarkt für Gas sollte Charttechnik eigentlich keine Rolle spielen, weil die Preisbildung dort fast ausschließlich durch fundamentale Faktoren bestimmt wird. Angebot und Nachfrage hängen unmittelbar von physischen Gegebenheiten ab: Wetterbedingungen, Speicherfüllstände, Pipeline- und LNG-Zuflüsse oder technische Störungen. Diese Faktoren sind kurzfristig und oft sprunghaft, sodass klassische Muster aus der Charttechnik kaum Aussagekraft besitzen. Hinzu kommt, dass Spotmärkte regional fragmentiert sind. Dadurch entstehen Preissprünge, die nicht dem „Trendverhalten“ entsprechen, das Charttechnik eigentlich voraussetzt. Aus rein analytischer Sicht ist es daher naheliegend, dass Technische Analyse an einem Gas-Spotmarkt nicht geeignet ist, um Preisbewegungen zuverlässig vorherzusagen.

Trotzdem wird Charttechnik in der Praxis am Gasspotmarkt häufig angewendet, wie das aktuelle Beispiel am Chart zum TTF Gas Day-Ahead eindrucksvoll zeigt. Dies aus mehreren Gründen: Erstens dient die TA vielen Händlern als zusätzliches Werkzeug, um Orientierung in einem ansonsten stark von Unsicherheit geprägten Markt zu gewinnen. Zweitens wirkt sie über die Psychologie der Marktteilnehmer: wenn genügend Trader dieselben Unterstützungs- und Widerstandsniveaus beobachten, können diese Marken kurzfristig tatsächlich Einfluss auf den Preis haben. Dass die 30-Euro-Marke zunächst hält und gekauft wird, ist also lediglich eine Art selbsterfüllende Prophezeiung. Drittens sind Spot- und Terminmärkte eng miteinander verknüpft. Da im Terminhandel Charttechnik weit verbreitet ist, übertragen sich deren Effekte über Arbitrage und Hedging teilweise auch auf den Spotmarkt. Schließlich spielt auch Gewohnheit eine Rolle: Trader, die aus anderen Märkten kommen, wenden bekannte Werkzeuge an, selbst wenn deren Prognosekraft eigentlich geringer sein müsste.