Klimaschutz kann nicht das einzige Ziel des Wirtschaftsministeriums sein

May 19, 2025

Kurswechsel in der Energiepolitik: Reiche setzt auf Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Technologieoffenheit
Im Interview mit dem Handelsblatt vom 19. Mai 2025 äußert sich Katherina Reiche, die neue Bundesministerin für Wirtschaft und Energie (CDU), erstmals ausführlich zu ihrer energiepolitischen Agenda. Dabei wird deutlich, dass sie einen grundlegenden Kurswechsel gegenüber der Vorgängerregierung anstrebt. Ihre Aussagen markieren eine klare Rückbesinnung auf Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Systemstabilität – bei gleichzeitigem Bekenntnis zum Klimaziel der Klimaneutralität bis 2045.
Ein zentraler Leitsatz ihrer Ausführungen lautet: „Klimaschutz kann nicht das einzige Ziel des Wirtschaftsministeriums sein.“ Reiche betont, dass Energiepolitik künftig wieder stärker als Bestandteil einer ganzheitlichen Standortpolitik verstanden werden müsse. Zu lange sei der Fokus einseitig auf den Ausbau erneuerbarer Energien gelegt worden, während Versorgungssicherheit und Preiswürdigkeit vernachlässigt worden seien.
Entsprechend fordert sie eine engere Kopplung des Ausbaus von Wind- und Solaranlagen an den tatsächlichen Strombedarf und die vorhandene Netzinfrastruktur. Ihr Anspruch: Der Ausbau müsse „am Bedarf ausgerichtet“ und mit dem Netzausbau synchronisiert werden. Die bisherige Praxis führe zu ineffizienten Investitionen und unterlaufe die Systemstabilität.
Reiche kritisiert zudem die einseitige Förderung bestimmter Technologien und spricht sich deutlich für Technologieoffenheit aus. Besonders in der Wärmewende plädiert sie dafür, Hausbesitzern Wahlfreiheit zu lassen: „Es muss Schluss sein mit dem Zwang zur Wärmepumpe.“ Statt technologischer Vorgaben sollen CO₂-Einsparziele definiert werden, deren Umsetzung flexibel gestaltet werden kann – auch über hybride oder alternative Lösungen.
Zugleich kündigt sie ein umfangreiches Programm zum Aufbau von regelbaren Kraftwerkskapazitäten an. Bis 2030 sollen mindestens 20 Gigawatt zusätzliche Leistung, vor allem durch Gaskraftwerke, bereitgestellt werden, um sogenannte Dunkelflauten abzufedern und die Abschaltung von Kohlekraftwerken abzusichern. „Die 20 Gigawatt neue, regelbare Leistung sind die Chance, Kohlekraftwerke abzuschalten“, so Reiche.
Ein weiterer Reformpunkt betrifft die Marktintegration der Erneuerbaren. Künftig sollen Förderstrukturen stärker an ihrem Beitrag zur Systemstabilität orientiert werden. Der Strom müsse dort und dann verfügbar sein, wo und wann er gebraucht werde – und nicht allein aufgrund garantierter Einspeisevergütungen produziert werden.
Zusammenfassend macht Reiche klar, dass sie die Energiewende nicht an der Anzahl installierter Anlagen, sondern an ihrer Systemwirkung und an der tatsächlichen CO₂-Reduktion bei vertretbaren Kosten messen will. Oder wie sie es selbst formuliert:
„Der Erfolg der Energiewende bemisst sich nicht an der Anzahl der installierten Photovoltaikanlagen, sondern daran, wie wir die CO₂-Emissionen zu vertretbaren Kosten reduzieren.“
Mit diesen Positionen markiert die neue Ministerin eine klare Neuausrichtung: weg von symbolischer Klimapolitik, hin zu einer realitätsnahen, wirtschaftlich tragfähigen und technologisch offenen Energiepolitik.
Unsere Einschätzung: Wollen wir für den Standort Deutschland und seine Industrie hoffen, dass Frau Reiche ihre Pläne umsetzen kann. Durch mehr Gaskraftwerke würde sich das Stromangebot in kritischen Zeitfenstern erhöhen. Zu klären wäre allerdings, woher das zusätzliche Gas kommt, wenn auf Kohle mehr und mehr verzichtet werden soll.