In den kommenden Jahren ist weiterhin eine Angebotsflut auf dem globalen Gasmarkt zu erwarten, getrieben durch den massiven Ausbau der LNG-Kapazitäten weltweit. Diese Expansion ist eine direkte Nachwirkung der jüngsten Gaskrise: Als Europa 2022 schockartig russisches Pipelinegas ersetzen musste und die Preise auf Rekordniveaus stiegen, löste dies einen Investitionsboom in Verflüssigungsprojekten aus. Regierungen und Firmen rund um den Globus, voran die USA, aber beispielsweise auch Katar und Kanada, gaben zahlreiche neuer LNG-Exportterminals in Auftrag, gestützt durch Europas abrupte Nachfrage und politische Unterstützung.
Ab 2026 dürfte das LNG-Angebot steil ansteigen. Aktuell befinden sich weltweit über 170 Millionen Tonnen (Mt) Jahreskapazität im Bau, was die globale Produktion bis 2030 um rund 42 Prozent gegenüber 2022 erhöhen könnte. Bereits 2026 sollen etwa 44 Mt neues LNG auf den Markt kommen, ein Zuwachs von über 10 Prozent binnen eines Jahres, der dem gesamten Jahresverbrauch Südkoreas entspricht. Mit weiteren Projekten ab 2027, darunter Katars North Field Expansion, die die nationale Kapazität von 77 auf 126 Mt erhöht, entsteht ein Szenario deutlicher globaler Überversorgung. Laut BloombergNEF dürfte das LNG-Angebot von 2027 bis 2030 jährlich über der Nachfrage liegen. Das Weltwirtschaftsforum erwartet bis 2030 einen Überschuss von etwa 63 Mt.
Für Produzenten ist ein solches Überangebot problematisch. Ohne ein kartellähnliches Instrument wie die OPEC im Ölmarkt fehlt im LNG-Sektor die Möglichkeit koordinierter Angebotssteuerung. Die Produzentenlandschaft ist fragmentiert, ein Mix aus staatlichen Unternehmen und privaten, häufig börsennotierten Akteuren, was gemeinsame Produktionskürzungen praktisch ausschließt. Aufgrund der hohen Kapitalintensität von LNG-Projekten werden viele Anbieter selbst in einem überversorgten Markt weiter produzieren, um Fixkosten zu decken. In der Folge werden bereits Projektverzögerungen über 2030 hinaus diskutiert, um den Markt nicht vollständig zu überfluten.
Auswirkungen auf den europäischen Gaspreis
Für Europa als Endabnehmer deutet sich auf Basis dieser Entwicklungen ein struktureller Wandel an. Die Großhandelspreise waren in den vergangenen Jahren extrem volatil und erreichten im August 2022 zeitweise über 300 Euro/MWh, nach Niveaus unter 20 Euro/MWh vor 2021. Mit dem erwarteten LNG-Überangebot ab 2026 sollte sich diese Ausnahmesituation weiter entspannen. Ein Preisniveau von etwa 30 Euro/MWh wäre eine deutliche Entlastung gegenüber der Krise, markiert jedoch kein vollständiges Zurück zu den sehr niedrigen Preisen der 2010er-Jahre. LNG bleibt teurer als Pipelinegas aus unmittelbarer Nachbarschaft, was einen strukturellen Preisboden setzt.
Europa steht damit vor einem „neuen Normal“: Gaspreise, die deutlich niedriger und stabiler sind als während der Krise, aber höher als im Jahrzehnt davor. Ein Käufermarkt bedeutet allerdings nicht, dass Risiken verschwinden. Kurzfristig können Faktoren wie eine extreme Kälteperiode in Europa, den USA oder Asien trotz globalem Überangebot zu temporären Preissprüngen führen, wenn viele Akteure gleichzeitig auf Spot-LNG zugreifen. Auch geopolitische Ereignisse oder Produktionsstörungen können die Preise zeitweise anheben.